EduGraphie | Kontextsensitive Videographie zur Erfassung digitaler Transformationsprozesse in Schule und Unterricht

  • Wie kann Lehr-Lerngeschehen und damit zusammenhängende medienbasierte pädagogische Praktiken in situ untersucht werden, sodass Interaktionsgeschehen und individuelle Perspektiven in den Blick geraten?
  • Wie handeln Lehrer*innen in, mit und durch digitalen Medien in ihrem beruflichen Alltag?
  • Welche pädagogischen Praktiken in, mit und durch digitalen Medien lassen sich beobachten?
  • Wie können darüber hinaus alltägliche medienbasierte pädagogische Praktiken von Lehrer*innen rekonstruiert und empirische Aussagen zu Transformationsprozessen von Schule und Unterricht getroffen werden?

Ausgangslage

Der Arbeitsalltag von Lehrer*innen verändert sich zunehmend durch die Nutzung digitaler Medien in Schulen. Zuletzt deutlich beschleunigt wurden die Digitalisierungsprozesse in Lehr-Lernumgebungen durch Schulschließungen während der Corona-Pandemie und der Notwendigkeit, Schule zuhause mit Hilfe digitaler Medien zu gestalten (vgl. Fickermann und Edelstein, 2020). Sowohl auf der Ebene des Unterrichts als auch in non-formalen Bereichen von Schule entstehen durch neue Technologien veränderte Anforderungen an professionelles Handeln von Lehrer*innen (vgl. KMK, 2016; KMK, 2020). Trotz der Existenz vieler Studien zum Medieneinsatz in Schulen (vgl. BITKOM, 2015; Eickelmann et al., 2019; Lorenz et al., 2017) ist es noch unzureichend geklärt, wie genau Lehrende durch, mit und in digitalen Medien pädagogisch handeln und welche Praktiken sich im Zusammenspiel mit Technologie entwickeln.

Das Projekt EduGraphie untersucht daher in ethnographischem Stil die pädagogischen Praktiken des Medienhandelns von Lehrer*innen in situ und in actu. Die Daten werden multimodal erhoben: mittels (mobiler) Videocam, 360-Grad-Kamera, Kameraroboter, Eye-Tracking-Brille oder traditionell mit Block und Stift.

Ziel ist es, mit den erhobenen Daten alltägliche mediale Praktiken von Lehrer*innen zu rekonstruieren und damit empirische Aussagen zu Transformationsprozessen treffen zu können. Die aufgezeichneten Praktiken sollen darüber hinaus in der Hochschullehre Anwendung finden, um Studierenden der Bildungswissenschaften und Lehrer*innen einen Theorie-Praxis-Transfer zu ermöglichen. Zudem steht im Projekt nicht nur die Erhebung selbst, sondern auch das method(olog)ische Nachdenken über Forschen unter Bedingungen zunehmder Digitalisierung im Erkenntnisinteresse (siehe Forschungsinstrumente).

Forschungsansatz

Im Projekt verfolgen wir einen rekonstruktiv-praxeologischer Forschungsansatz. Das Forschungsprojekt ist interdisziplinär mit Ansätzen aus den Bildungs- und Medienwissenschaften sowie der Soziologie angelegt. Da das Erkenntnisinteresse auf (zu entdeckende) Praktiken gerichtet ist, haben wir uns bei der Erhebung der Forschungsdaten für einen ethnografischen Zugang entschieden: Mittels videounterstützter teilnehmender Beobachtung werden Lehrer*innen in ihrem Alltag in den Blick genommen. Die gewonnenen Daten werden sequenzanalytisch rekonstruiert.

Forschungsinstrumente

Welche Erhebungsverfahren eignen sich, um mediale Praktiken von Lehrer*innen zu untersuchen? Vor allem die Weiterentwicklung mobiler Aufzeichnungsmedien ermöglicht neue Perspektiven auf Praktiken. Durch mobiles Eyetracking können etwa nicht nur die Aufmerksamkeitsfoki der Lehrer*innen erfasst werden. Forschende können zudem die Augenbewegungen und das visuelle Blickfeld einer Lehrperson, die die Eyetracking-Brille trägt, zeitsynchron aufzeichnen. Während bisher mittels Videographie insbesondere das Sprechen, Interagieren und Handeln von Akteur*innen in Videos sichtbar gemacht wurde (Tuma, 2018), kann das durch Eyetracking entstandene Video - im wahrsten Sinne des Wortes - neue Sichtweisen auf Praktiken eröffnen, in dem das Sehen sichtbar gemacht wird. Dieses Sichtbar-Machen des Sehens und Analysierens nennen wir Eye-Viewing - als Synthese von Fokussierender Videographie und Videoethnographie sowie Eye-Tracking (als Datenerhebungsinstrument). Hypermedial ausgewertet, d.h. mit verschiedenen Materialien aus Schriftsprache und Videos, können Praktiken sowohl aus der Perspektive der Forschenden als auch der Lehrer*innen rekonstruiert werden.

TEILPROJEKT "Zuhause-Schule"

Als Teilprojekt des Forschungsprojektes EduGraphie fokussiert "Zuhause-Schule" (Projektbeginn: 04/2020) medienbasierte Schulpraktiken in der Familie. Durch die Schulschließungen rag(t)en mediale Praktiken aus der Schule massiv in die Familien hinein und führ(t)en zu Veränderungen des Alltags. Im Unterricht aus der Ferne bearbeiten Schüler*innen (medialgestützte) Aufgaben. Das Phänomen der "Zuhause-Schule" verstehen wir schultheoretisch als Phänomen der Modernisierung, in der vor allem die Grenzen zwischen Schule und außerschulischen Feldern wie Familien und Freundeskreis neu geordnet werden.

Um diese Neuordnung zuverlässig zu beforschen, untersuchen wir während der Schulschließungen im Rahmen der Covid-19-Ausbreitung in den Schuljahren 2020/2021 ethnographisch, wie diese Praktiken aus der Schule auf der anderen Seite des Bildschirms, also im Zuhause der Familie umgesetzt werden. Dazu beobachten wir das alltägliche schulbezogene Handeln der Kinder und Jugendlichen und führen Interviews mit den Eltern und ihren Kindern.

Wir erhoffen uns dadurch, aktuelle und verbreitete Praktiken von Schule im Familienalltag analysieren zu können und so lichte, aber auch schattige Seiten dieser Form und schulischer Entgrenzung aufdecken zu können.

Publikationen im Projektzusammenhang

Referenzen

  • BITKOM. (2015). Digitale Schule - vernetztes Lernen: Ergebnisse repräsentativer Schüler- und Lehrerbefragungen zum Einsatz digitaler Medien im Schulunterricht. Verfügbar unter https://www.bitkom.org/sites/default/files/file/import/BITKOM-Studie-Digitale-Schule-2015.pdf [02.12.2019].
  • Eickelmann, B., Bos, W., Gerick, J., Goldhammer, F., Schaumburg, H., Schwippert, K., Senkbeil, M., & Vahrenhold, J. (2019). ICILS 2018 #Deutschland. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computional Thinking. Münster; New York: Waxmann.
  • Fickermann, D., & Edelstein, B. (2020). "Langsam vermisse ich die Schule ...". Schule während und nach der Corona-Pandemie. Münster, New York: Waxmann.
  • KMK. (2016). Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. Verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2017/Strategie_neu_2017_datum_1.pdf [29.11.2019].
  • KMK. (2020). Corona-Pandemie. Rahmen für aktualisierte Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 14.07.2020). Berlin: KMK.
  • Lorenz, R., Bos, W., Endberg, M., Eickelmann, B., Grafe, S., & Vahrenhold, J. (2017). Schule digital - der Länderindikator 2017. Schulische Medienbildung in der Sekundarstufe I mit besonderem Fokus auf dei MINT-Fächer im Bundesländervergleich und Trends von 2015 bis 2017. Münster; New York: Waxmann.
  • Tuma, R. (2018). Eine reflexive Betrachtung der Video-Analyse: Datenanalysesitzungen im Fokus. In M. Hietzge (Hrsg.), Interdisziplinäte Videoanalyse. Rekonstruktionen einer Videosequenz aus unterschiedlichen Blickwinkeln (S. 259-279). Opladen; Berlin; Toronto: Verlag Barbara Budrich.
Team EduGraphie

Vortrag im Rahmen des Projektkontextes

Video zum Thema "Zuhause-Schule"

Im Rahmen der Tagung „Gerecht, digital, nachhaltig!“ haben wir ein Kurzvideo zu unserem Projekt "Zuhause"-Schule erstellt. Es ist hier zu finden.

Sie haben Interesse an dem Projekt EduGraphie. und würden gerne mitwirken? Wir freuen uns darauf, von Ihnen zu hören!

 

Ansprechpartnerin: Carina Troxler

E-Mail: carina.troxler(at)sowi.uni-kl.de

Veranstaltungsreihe EduGraphie